Leipzig SPD verordnet sich Aufbruchstimmung

Leipzig · Zur 150-Jahr-Feier der Partei kamen auch die Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder.

Der Applaus gilt für den Moment drei ganz normalen Genossen. Sie sind seit 86, 82 und 81 Jahren Mitglied der SPD, die in Leipzig mit 1600 Gästen ihren 150. Geburtstag feiert. Wie staunend blickt die Partei auf ihre Vergangenheit zurück. "Unser Projekt ist so aktuell wie vor 150 Jahren", versucht Parteichef Sigmar Gabriel den Genossen Selbstbewusstsein für das Hier und Jetzt zu verordnen.

Die Feierstunde fällt mitten in einen Bundestagswahlkampf, der für die SPD bisher wenig ruhmreich verläuft. Doch heute will man die liebevoll "alte Tante" genannte SPD ausnahmslos würdigen. Ohne Wahlkampfgetöse und über Parteigrenzen hinweg. Am 23. Mai 1863 hatte Ferdinand Lassalle mit einer Handvoll Gleichgesinnter den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gegründet und damit den Grundstein für die spätere SPD gelegt. Sachsen galt einst als "rotes Königreich", bei der Bundestagswahl 2009 kam die SPD in Leipzig nur auf magere 15 Prozent. Für einen Tag wird die Stadt nun wieder Hochburg.

Zur großen Stunde der Selbstvergewisserung sind alle gekommen: Die Altkanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder sitzen in der ersten Reihe nebeneinander, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist da. Neben den langjährigen Parteimitgliedern haben die früheren Vorsitzenden Franz Müntefering, Kurt Beck und Rudolf Scharping Platz genommen. Die Genossen sind heute staatstragend aufgelegt. Zur Feier sind allein 20 frühere Staats- und Regierungschefs erschienen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darf neben Parteichef Sigmar Gabriel sitzen. Es folgen Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt. Von ganz links außen verfolgt der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Feierstunde. Generalsekretärin Andrea Nahles hat noch am Eingang die Hoffnung geäußert, die SPD werde von diesem Tag "Selbstbewusstsein" mitnehmen. Auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erinnert die Genossen an den Wahlkampf: "Für uns bleibt noch viel zu tun."

Es sind vor allem die früheren Größen, die die großen Worte im Gewandhaus mit Leben füllen. Den ersten großen Beifall erhält Helmut Schmidt für seine Worte: "Ein langes Stück Weg bin ich mitgegangen, weil die Sozialdemokratie mir zur politischen Heimat geworden ist."

Es ist der berühmte Satz von Otto Wels aus seiner Rede 1933 im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht", der auch jetzt nachhallt. Und es ist der Satz von Willy Brandt "Besinnt euch darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will", die in den Tagen des schwierigen Wahlkampfs für die Sozialdemokraten wie eine Mahnung klingen muss. Gerhard Schröder hat Kanzlerkandidat Steinbrück zur Begrüßung aufmunternd auf die Schulter geklopft. Vergangenheit kann auch erdrücken. Bundespräsident Joachim Gauck würdigt die Sozialdemokraten als große Reformer und Demokraten: "Es war die SPD, die auf Reformen statt auf Revolutionen setzte." Schritt für Schritt habe sie das Leben der Menschen verbessert, statt auf utopische Fernziele zu setzen.

Frankreichs Staatschef, der Sozialist François Hollande, streichelt die Seele der deutschen Schwesterpartei: Nur die sozialdemokratische Partei sei "die Partei des Volkes". Nur ihr gelinge die "Synthese zwischen ökonomischer Vernunft und sozialer Gerechtigkeit". Hollande, der in Frankreich um Autorität ringt, richtet die deutsche SPD auf: "Europa braucht uns. Wir sind es, die es weiterbringen müssen", sagt er. Stehender Applaus für ihn. Wie ein Aufatmen: Endlich sagt es mal einer so laut und selbstbewusst.

Peer Steinbrück hat es nach der Feierstunde eilig. "Sehr gelungen" fand er sie, sagt er kurz. "Sehr gute Reden" habe es gegeben. Der nächste Auftritt steht an: Er trifft gleich Schlagerstar Roland Kaiser. Der hat ihm seine Unterstützung zugesagt. Steinbrück, den derzeit nur 29 Prozent der Wähler zum Kanzler machen würden, muss wieder Wahlkampf machen — für die SPD, im Hier und Jetzt.

(RP/jh-)
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