Die Würde des Doktors

Die Affären um die Arbeiten von Karl-Theodor zu Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin haben das Vertrauen in den Doktortitel kaum erschüttert. Der Wissenschaftsbetrieb muss indes Lehren ziehen.

Berlin Neulich seufzte Friedrich Lampert, früherer Dekan der Medizinischen Fakultät in Aachen, in launiger Runde: "In der Medizin ist der Doktortitel ja fast schon die Berufsbezeichnung." Er meinte damit die Neigung von Patienten und Pflegepersonal, auch unpromovierte Ärzte mit "Herr Doktor" anzureden. Patienten wollen das nicht anders. Sie wollen Sorgen delegieren, und einer in weißem Kittel ist offenbar befugt, sie ihnen abzunehmen. Er wird schon ein Doktor sein.

Um die Würde des Doktorgrads ist in Deutschland kurioserweise keine Debatte entstanden, obwohl der unredliche Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und die offenbar auch nicht tadellose Silvana Koch-Mehrin (FDP) den Leumund des Doktorhutes in Misskredit gebracht haben. Andererseits ahnt die aufgeräumte Nation augenzwinkernd, dass wissenschaftliches Arbeiten gewiss häufig als Kopiervorgang vonstatten geht, bei dem Mausklicks das Denken und Reflektieren ersetzen. Sind solche Implantate verwerflich?

Nein. Wer je – von der keuschen Proseminar-Arbeit bis zur dicken Habilitationsschrift – wissenschaftlich arbeitete, hat stets Umgang mit fremden Gedanken, die in den eigenen Text einfließen. Auch das geniale eigene Gedachte ruht im Bett des kollektiven Wissens. Diese Tatsache zwingt, sofern der Eigenanteil prüfungsrelevant ist, zur Redlichkeit der Trennung: In jedem Fall müssen Quellen benannt, Zitate gekennzeichnet werden. Das war immer so, das wird und darf sich nicht ändern.

Das Problem betrifft die Dimension von Zeit, in der Wissenschaft aufs Papier kommt. Früher war Forschen ein langwieriges Geschäft. Man ging in die Fernleihe, orderte Bücher in der Unibibliothek, ermittelte Zeitschriften, schrieb Zitate raus (und gleich die Quelle dazu, damit man sie nicht vergaß) und arbeitete mit Zettelkästen. Heute ist alles, was früher auf Papier verschriftlicht war, in digitaler Form abrufbar – und gewiss laden die Möglichkeiten der Textbearbeitung zur Bedien-Mentalität ein.

Die Art und Dichte des Arbeitens hat mit der Fakultät zu tun. Mediziner nutzen grundsätzlich nur Datenbanken im Internet, nachdem sie eigene Forschungsreihen auf die Beine gestellt haben, und werden von Doktorvätern zur Kürze genötigt. Der Autor dieser Zeilen durfte seiner Medizinischen Fakultät nur 60 Seiten vorlegen. Dagegen erreicht manche Historiker-Dissertation das Zehnfache. Umfang und Länge sind indes kein Spiegel von Mühe.

Ins Gerede sind die Doktorväter gekommen, welche die Arbeiten der beiden Politiker angeblich gründlich betreut hätten. Solche Aussagen zur Intensität akademischer Obhut sind mit Vorsicht zu genießen. Professoren sind in Eile. Sie kümmern sich bei Doktorarbeiten ums Großformale, um die Gliederung – aber nicht um Zitate! Dass sie ordnungsgemäß und erkennungsdienstlich behandelt werden, ist immer Teil der vertrauensvollen Übereinkunft zwischen Doktorvater und Doktorand. Wenn der Lehrling türkt, muss das dem Meister nicht auffallen. Er sitzt dann zwangsläufig einem Unlauteren auf, der fremdes Wissen als eigenes ausgibt.

Guttenberg und Koch-Mehrin haben Fehler begangen, die professionellen Betrügern nie unterlaufen wären. Guttenberg hätte sein Elaborat von einem Profi ins Englische und dann von einem zweiten Profi zurück ins Deutsche übersetzen lassen können – das hätte alle 1:1-Entsprechungen entschärft, und kein Plagiats-Jäger wäre auf die kleptomanischen Dimensionen der Arbeit aufmerksam geworden. Allein, Guttenberg ließ Vorsicht fahren – er sah den Titel zum Greifen nah, die Gier übermannte den Baron.

Es lässt sich aber nicht leugnen, dass das Unrechtsbewusstsein unter Studenten von heute nicht sehr hoch entwickelt ist. Mancher Professor beklagt regelmäßig, dass er Hausarbeiten als hundertprozentige Verwertung von Internet-Lexika eingereicht bekommt, die um keine persönliche Note bereichert sind. Bei der Einbestellung beruft sich der Delinquent auf das ewige Wissen des Netzes – und fragt nicht unkeck, warum er umformulieren soll, was dort als Faktensammlung perfekt niedergeschrieben sei.

Was also müssen Professoren ihren Schützlingen zuerst beibringen? Dass Abschreiben legal und Teil der Wissenschaft ist – und dass nur sauberes Zitieren die Grenze wahrt, die den Fundort vom Tatort trennt.

Internet Hintergründe und ein Porträt von Silvana Koch-Mehrin unter www.rp-online.de/politik

(RP)
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