Düsseldorf Pussy Riots Angriff auf die Kirche

Düsseldorf · Die Solidarität vor allem im Westen für jene drei verurteilten Musikerinnen, die in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale ein sogenanntes Punk-Gebet aufführten, ist groß – und naiv. Dann dahinter verbirgt sich eine radikale Protestbewegung, die so gut wie keine Werte akzeptiert.

Es scheint dieser Tage wieder leicht zu sein, ein bisschen Robin Hood zu spielen – also nicht nur Rächer der Enterbten, Witwen und Waisen zu sein, sondern auch Verteidiger von drei jungen russischen Musikerinnen der Gruppe "Pussy Riot". Zu zwei Jahren Lagerhaft hat man sie jetzt verurteilt. Wegen "Rowdytums aus religiösem Hass", sagten die Richter. Die verurteilten Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (30) nannten ihre Hasslieder indes ein Punk-Gebet, das sie in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale aufführten – genauer: im Ambo, jenem erhöhten Ort, den zu betreten nur auf Einladung des Priesters gestattet ist. Das war am 21. Februar dieses Jahres. Und der Auftritt dauerte keine 60 Sekunden.

Seit der Verhaftung ist unser Empörungseifer, also vornehmlich der des Westens, groß – wogegen 86 Prozent der Russen sich für eine Bestrafung ausgesprochen haben. Die westliche Parteinahme für die Verfolgten von "Pussy Riot" ist ein Gemisch: aus dem Unbehagen an den politischen Zuständen eines Landes, das wir kaum kennen, und dem Behagen an scheinbar übermütigen jungen Frauen, über deren Motive wir ebenfalls nur dürftige Kenntnisse haben. Die Solidarität für Pussy Riot – besonders ausgeprägt unter prominenten Musikern wie Madonna, Sting und Nina Hagen – ist also das, was man naiv nennen könnte oder besser sollte.

Zu dieser Arglosigkeit gehört die Unkenntnis über die Krawall-Bewegung der Frauen namens "Riot Grrrl", die sich ins Mäntelchen einer linken, eigentümlich feministischen und stets radikalen Aktionskunst hüllt, die aber im wesentlichen von extremen Tabubrüchen getrieben wird: Gruppensex, öffentlicher Sex und Pornographie gehören zu ihrem bevorzugten Instrumentarium. Die Intimsphäre kehrt sich bei ihnen ins Gegenteil und wird zum anarchistischen Kampfmittel: Sex als Waffe gegen Putin und Staat samt Patriarch und orthodoxer Kirche. Dabei legen die Aktivisten jede Individualität ab. Mit ihren häufig getragenen Sturmhauben, die natürlich auch vor einer drohenden Strafverfolgung schützen sollen, bleiben sie nur als Teil der Aktion identifizierbar.

"Pussy Riot" ist Aufruhr, Kampf und Aufbegehren, die in irgendeiner Form vielleicht jede junge Generation kennzeichnet. Dieser Protest muss laut, muss wahrnehmbar sein. In einer ohnehin schon lauten Welt bleibt dann kaum anderes übrig, als letzte Hürden zu überspringen. Eine davon ist die Sphäre des Intimen. Das war ein Element auch der 68er-Generation mit ihrer Lebenskunst der freien Liebe und den so frauenfeindlichen Parolen wie: "Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment." Zur politischen Freiheit gehörte die Freiheit des Körpers.

Echte Tabubrüche dürfen weder Grenzen kennen noch akzeptieren. Nur sind solche in den vergleichsweise offenen Gesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts immer schwerer auszumachen. Beliebt als Ziel gelten daher die letzten Werte-Reservoirs, also die Kirche mit ihren sakralen Räumen. Dort trifft zusammen, was jede nach Öffentlichkeit gierende und auf Öffentlichkeit überhaupt angewiesene Aktion braucht: eine hohe emotionale Betroffenheit und ein unumstößliches Anschauungsgebäude. Wer daran rüttelt, braucht sich um den Effekt keine Sorgen mehr zu machen. Auch darum verwundert es nicht, dass es bereits erste Versuche von Nachfolge-Aktionen gab: kürzlich in der orthodoxen St.-Nikolai-Kirche in Wien und im Kölner Dom.

Sehr früh schon hatte dort der zuständige Domprobst Norbert Feldhoff erklärt, dass man solche Auftritte, vermeintliche Kunstaktionen oder Provokationen auch in der für Toleranz gerühmten Domstadt keineswegs hinnehmen werde.

Wie auch anders? Sakrale Räume wie Kirchen, Moscheen und Synagogen sind Schutzräume der Gläubigen und darum auch vom Staat geschützte Räume. In ihnen ist nicht alles möglich. Und doch sind es Räume der Freiheit, der freien und gleichsam vom Gesetz behüteten Religionsausübung. Auch das scheint nicht mehr zu unserem selbstverständlichen Wertekanon zu gehören. Kürzlich musste der Rechtswissenschaftler Klaus Volk in der "Süddeutschen Zeitung" daran erinnern, dass "auch in Deutschland die ,Heiligkeit des Ortes' strafrechtlich sanktioniert ist".

In der Kunst und der Literatur hat es immer wieder solche Übertretungs- und Provokationsversuche gegeben. Dazu gehört Christoph Schlingensiefs "Kirche der Angst" auf der Biennale von Venedig 2011, bekannter noch eine Szene aus dem Roman "Die Blechtrommel" von Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Oskar, der Blechtrommler, vergleicht sich mit Gottes Sohn und hängt in der Danziger Herz-Jesu-Kirche einer Jesuskind-Figur seine Trommel um den Hals.

Die Besonderheit des Sakralraumes zeigt sich sogar noch im Fall seiner Auflösung. Katholische Kirchen werden – wenn mancherorts zu ihrem Unterhalt das Geld fehlt oder es an Kirchenmitgliedern mangelt – nicht einfach nur abgeschlossen, verkauft oder abgerissen. Kirchen werden profaniert, entweiht also. Dazu gehört eine letzte Eucharistiefeier und die Entfernung aller Reliquien.

Der profane Raum, unsere Alltagswelt gewissermaßen, ist auf sakrale Räume angewiesen: als Gegenüber, als Korrektiv, als Stätte von Gemeinsamkeit und Sinnfindung. Auch oder vielleicht gerade in Zeiten einer säkular geprägten Gesellschaft. Denn nach wie vor ist unser Wertesystem christlich bestimmt – in unserer Ethik vom Leben, der Liebe zum Nächsten, im Respekt vor dem anderen. Das sind nur ein paar Grundpfeiler unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, die umzustoßen vielleicht reizvoll, letztlich aber selbstzerstörerisch ist. Wem nichts mehr heilig ist, der hat die Welt preisgegeben: ihrer vollständigen Entwertung.

(RP)
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